Als Polen im Emsland Polinnen befreiten
Große Freude vor 75 Jahren im Kriegsgefangenenlager Oberlangen / Gleichzeitig Massaker in Aschendorfermoor
- Ems-Zeitung
- Von Carsten van Bevern
ESTERWEGEN Freude und Leid haben vor 75 Jahren im Emsland nah beieinandergelegen: Unfassbare Freude im Emslandlager in Oberlangen, wo am 12. April polnische Soldaten mehr als 1700 Landsfrauen befreiten. 20 Kilometer entfernt aber lässt ein 19-jähriger Gefreiter im Lager Aschendorfermoor ein Blutbad anrichten.
Die in Oberlangen befreiten Frauen haben im Sommer 1944 als Sanitäterinnen und Melderinnen der Untergrundarmee „Armia Krajowa“am Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer teilgenommen und sind nach der Gefangennahme ins Emsland gebracht worden. Zufall war nun, dass zur Anfang April über die niederländisch-deutsche Grenze ins Emsland vorrückenden britischen Armee neben kanadischen Einheiten auch die im schottischen Exil aufgestellte 1. Polnische Panzerdivision gehörte – und diese in Richtung Oberlangen marschierte.
Der polnische Kriegskorrespondent Wolentynowicz berichtete über die Ankunft der polnischen Truppen: „Nach einer Kurve kamen wir plötzlich an hohe Stacheldrahtzäune. Ein Tor! Der Panzer hielt nicht an [...] das Eingangstor krachte auf den Weg. Und ganz plötzlich war der Innenhof schwarz von Hunderten von Frauen und Mädchen. Polnische Kampfmützen und Schultertücher mit den Nationalfarben Rot und Weiß. Polnische Frauen!!!“Die Frauen hätten geschwiegen, sprachlos von ihren Empfindungen. Nur die polnische Kommandantin bahnte sich den Weg durch die Menge und meldete ihrem Landsmann Oberst Koszutski militärisch knapp: „1726 Frauen, Soldaten der polnischen Armee im Stalag VI C Oberlangen.“Unter den Befreiten waren auch neun Kinder, die im Lager geboren worden waren und nun intensiv betreut werden konnten.
Erschütternde Erlebnisse
Oberlangen war damit das letzte befreite Kriegsgefangenenlager im Emsland. In den Lagern Versen, Fullen und Groß Hesepe waren in den Tagen zuvor bereits fast 4000 italienische Militärinternierte befreit worden – nicht nur in Fullen hatten die deutschen Bewacher das Lager zuvor bereits fluchtartig verlassen.
Von erschütternden Erlebnissen berichten Zeitzeugen vor allem bei der Befreiung der Lager, in denen sowjetische Soldaten inhaftiert waren. Trotz Status als Kriegsgefangene und daher zu behandeln nach den Bestimmungen der Genfer Konvention, waren viele ausgemergelt durch Unterernährung und Tuberkulose.
„Selbst jetzt werden 250 der Männer, die ich sah, in den nächsten Tagen sterben [...] Manche schliefen auf einem Stück Sackleinen, das auf stoppeliger getrockneter Heide lag, dünn auf dem Steinboden verteilt, ohne Decke, nur in ihren Lumpen“, berichtete der Kriegsberichterstatter Robert Dunnett am
26. Mai 1945 für die BBC London.
Neben der Freude in Oberlangen herrschte aber auch weiteres Leid: Zeitgleich zur Befreiung des Kriegsgefangenenlagers Oberlangen fand nur wenige Kilometer weiter nördlich im Strafgefangenenlager Aschendorfermoor ein Massaker statt. Dort hatte der 19-jährige Gefreite Willi Herold mit einer gefundenen Hauptmannsuniform und mit zuvor aufgelesenen versprengten Soldaten just am
12. April das Kommando im
Lager übernommen. In der folgenden Woche ließ er im Lager und der Umgebung insgesamt 172 Menschen hinrichten. „Diese neun Tage bis zum 19. April waren die Hölle in meiner 28-monatigen Haft in den Emslandlagern“, fasste Friedrich Bergsträsser seine „Begegnung“mit dem auch „Hauptmann von Muffrika“genannten Willi Herold zusammen.
Neben dem mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Dokumentarfilm „Der Hauptmann von Muffrika“von Paul Meyer aus dem Jahr 1996 sind die Gräueltaten des einstigen Schornsteinfegers Willi Herold auch Grundlage der ebenfalls mehrfach ausgezeichneten und 2018 in deutschen Kinos gezeigten Filmbiografie „Der Hauptmann“von Robert Schwentke.
Herold wird schließlich gefangen genommen, das deutsche Marinegericht in Norden lässt ihn am 3. Mai 1945 aber frei. Am 23. Mai von der britischen Royal Navy in Wilhelmshaven wieder verhaftet, wird er anschließend in Esterwegen interniert. Im August 1946 wird er vom britischen Militärgericht in Oldenburg zum Tod verurteilt und schließlich am 14. November 1946 in Wolfenbüttel hingerichtet.
Und kurz vor Ende aller Kampfhandlungen im Emsland spielte sich im Lager Aschendorfermoor noch eine weitere Tragödie ab. Nur einen Tag, bevor alliierte Truppen das Strafgefangenenlager als letztes der insgesamt 15 Emslandlager erreichten, hatten am 19. April aufgrund von zahlreichen rund um das Lager aufgestellten Geschützen noch englische Kampfflugzeuge das Lager mit Maschinengewehrfeuer und Brandbomben angegriffen. Das gesamte Lager brannte dabei nieder, und weitere 23 Strafgefangene starben noch kurz vor Kriegsende.
Die letzten hinhaltenden Kampfhandlungen fanden schließlich am 26. April am Küstenkanal statt. Der Zweite Weltkrieg war damit zumindest im Emsland beendet. Unter anderen die in den 15 Lagern Befreiten wurden zunächst in sogenannten Displaced Persons (DP)-Lagern untergebracht.
Haren wird polnisch
So waren Teile des Emslandes nach dem Krieg für rund drei Jahre von Polen besetzt. In Haren mussten auf Anordnung der britischen Militärregierung rund 1000 deutsche Familien ihre Häuser verlassen, um Platz für die polnischen Menschen zu machen, die durch den Krieg in die Region gekommen waren – sei es als Gefangene oder als Zwangsarbeiter. Die Stadt mit ihren nun rund 4000 polnischen Bewohnern bekam den Namen Maczków mit einem polnischen Bürgermeister, Stadtrat, einer polnischen Pfarrei und einem Krankenhaus. Am 10. September 1948 verließen schließlich die letzten polnischen Familien Haren.
Im selben Jahr heiratete Aleksandra Diermajer in Polen ihren Schulkameraden Stefan Sekowski. Beide hatten sich zuvor allerdings in Haren – oder besser: Maczków
– kennengelernt. Sie als Befreite des Kriegsgefangenenlagers Oberlangen und er als Mitglied der 1. Polnischen Division als Befreier des Lagers Oberlangen.
Als Mitglied der geheimen Pfadfinderinnen hatte sie am Warschauer Aufstand teilgenommen und war nach der Niederschlagung in Fallingbostel, Bergen-Belsen und schließlich ab Januar 1945 in Oberlangen inhaftiert worden. Nach der Befreiung besuchte sie das polnische Gymnasium in Haren und ging nach der Demobilisierung der 1. Panzerdivision, für die sie tätig war, zurück nach Polen.
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